Die Beschriftung vor dem Haupteingang des Kinderspitals Zürich
20.01.2020
Kinderschutz

Kinderschutzgruppe 2019: Mehr Fälle von Schüttelbabys verzeichnet

Seit 50 Jahren gibt es die Kinderschutzgruppe des Universitäts-Kinderspitals Zürich. Das ist trotzdem kein Grund zum Feiern: Letztes Jahr wurden wieder mehr Verdachtsfälle auf Kindsmisshandlungen verzeichnet.

Insgesamt waren es 544 Fälle, 16 mehr als im Vorjahr. Was dabei besonders auffällt: Auch die Zahl von Kleinkindern mit Schütteltrauma ist gestiegen.

Trotz Jubiläum kein Grund zum Feiern

Mit den Jahren wurden der Kinderschutzgruppe immer mehr Fälle gemeldet. Durch eine stete Sensibilisierung der Bevölkerung, aber auch der Fachpersonen innerhalb und ausserhalb des Kinderspitals, werden heute Kindswohlgefährdungen und Kindsmisshandlungen viel früher erkannt. 2/3 aller Verdachtsfälle melden uns Personen von ausserhalb des Kinderspitals, etwa Kinderärzte und Hausärztinnen oder andere Fachleute, aber auch Eltern, Bekannte oder Nachbarn. Trotzdem kommt es leider auch immer wieder zu schweren Schädigungen von Kindern, wenn eine Gefährdung zu spät erkannt wird. Somit ist das 50-jährige Bestehen der Kinderschutzgruppe leider kein Grund zum Feiern.

Von den 544 gemeldeten Verdachtsfällen mussten wir bei 387 Kindern eine Misshandlung bestätigen, bei 128 Kindern blieb der Verdacht bestehen, konnte aber nicht nachgewiesen werden. In diesen Fällen werden die Kinder engmaschig kontrolliert oder mit anderen Stellen (wie z.B. dem Kinderarzt, der Mütter- und Väterberatung, etc.) vernetzt. Bei 29 Kindern stellte sich im Verlauf der Untersuchung heraus, dass die Symptome medizinisch erklärbar waren und keine Misshandlung vorlag.

Fälle von körperlicher Misshandlung steigend - insbesondere geschüttelte Kinder

Im Kinderschutz werden die Fälle in 5 Kategorien eingeteilt: körperliche und psychische Misshandlung, sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und Münchhausen Stellvertreter-Syndrom. Dabei werden die Kinder in derjenigen Kategorie erfasst, die am augenscheinlichsten vorliegt, obschon klar ist, dass sich diese Formen meist überschneiden. So wird zum Beispiel ein geschlagenes Kind in der Kategorie der körperlichen Misshandlungen erfasst, obwohl dieses Kind auch psychisch darunter leidet.

Die Fallzahlen der körperlich misshandelten Kinder haben zugenommen im Vergleich zum Vorjahr. Es fällt insbesondere auf, dass wir mehr Säuglinge mit Schütteltrauma am Kinderspital behandeln mussten, resp. in diesen Fällen beratend tätig wurden. Insgesamt wurden uns 10 Verdachtsfälle gemeldet – 5 konnten bestätigt werden. 2018 waren es 2 bestätigte Fälle.
1997 wurde eine Kampagne in der Schweiz lanciert mit der Message: «Schüttle nie Dein Baby!». In Folge nahm die Zahl der sogenannten «Schüttelbabys» ab. Wir hoffen, dass die Botschaft der Kampagne nicht verloren geht und dieser Anstieg 2019 nur ein statistischer Ausrutscher war.
Schüttle nie dein Baby! Das Schütteln von Kleinkindern verursacht bei 2/3 der betroffenen Kinder bleibende Hirnschäden. Das Schütteln kann - auch wenn es nur ganz kurz ist - sogar zum Tod des Kindes führen.

Bei Überforderung Hilfe holen!

Angehende und frische Eltern müssen wissen, dass Säuglinge einen enorm fordern und manchmal überfordern können. Es ist wichtig zu wissen, was man in einer solchen Situation ja nicht machen darf und wo man sich Hilfe holen kann, z.B. bei Angehörigen, Nachbarn, Fachpersonen (Kinderarzt, Hebamme, Mütter- und Väterberatung, etc.)

Beim sexuellen Missbrauch entsprachen die Fallzahlen 2019 ungefähr dem Vorjahr. Bei den Kategorien der Vernachlässigung und Münchhausen by proxy gab es zahlenmässig ebenso wenig Veränderung. Bei der psychischen Misshandlung verzeichneten wir einen Rückgang. Zur Kategorie der psychischen Misshandlungen werden auch Kinder gezählt, welche häuslicher Gewalt ausgesetzt sind.

Unsere Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle betreut nicht nur Kinder und Jugendliche, die im Kinderspital Zürich stationär oder ambulant gesehen werden. Sie berät auch Fach- und Bezugspersonen, die einen Verdacht auf eine Gefährdung oder Misshandlung bei einem Kind äussern.

Hintergrund: Kinderschutzgruppe und Opferberatungsstelle des Universitäts-Kinderspitals Zürich

Die Kinderschutzgruppe befasst sich mit Säuglingen, Kindern und Jugendlichen, die Opfer einer Misshandlung wurden oder gefährdet sind, misshandelt zu werden. Ziel der Kinderschutzgruppe ist es, durch sorgfältig geplante Interventionen drohende Misshandlungen abzuwenden und betroffene Kinder und Jugendliche vor wiederholter Misshandlung zu schützen. Das Ziel aller Bemühungen ist das Wohl der Kinder und Jugendlichen, indem diese gesundheitlich versorgt werden und ihr soziales Netzwerk gestützt und gestärkt wird. Die interdisziplinäre und multiprofessionelle Arbeitsweise mit Spezialisten und Spezia-listinnen aus Medizin, Psychiatrie, Psychologie, Gynäkologie, Pflege und Sozialarbeit ermöglicht es, die verschiedenen Facetten einer Misshandlungssituation zu erfassen und bestmöglich zu reagieren. Be-zugspersonen sowie nachbehandelnde und nachkontrollierende Institutionen werden früh in die Arbeit und Entscheide der Kinderschutzgruppe miteinbezogen.
In unserer Opferberatungsstelle erhalten Opfer von Gewalttaten nach den Vorgaben des Opferhilfegeset-zes Beratung und Unterstützung in rechtlichen, psychosozialen und teils auch finanziellen Belangen.
Nebst dem Opfer unterstützen und begleiten wir auch dessen Angehörige. Auch Fachpersonen und Insti-tutionen können sich beraten lassen.