«Kinder sind das Fundament der künftigen Gesellschaft – das muss uns viel wert sein.»
Interview: Marco Metzler
Herr Vollenwyder, seit 2014 sind Sie Präsident der Eleonorenstiftung. Was ist Ihr grösstes Highlight?
Martin Vollenwyder: Dass es uns gelungen ist, die Finanzierung des neuen Spitals sicherzustellen und die Neubauten zu realisieren. Die Gebäude stehen. Man kann sie anfassen. Als wir erstmals sagten, dass wir mit privaten Geldgebern 100 Mio. Fr. sammeln wollen, meinten viele, es ginge nicht. Einzig der damalige Zoodirektor Alex Rübel war zuversichtlich. Er war sich gewohnt, Geld zu suchen. Ich habe seither über 130 Führungen geleitet und wir haben das Ziel mit über 138. Mio. Fr. Spenden bis Ende 2024 übererfüllt.
Wie sind Sie damals zur Stiftung gekommen?
Ich wurde Anfang 2014 als Präsident geholt, weil es mit dem Neubauprojekt und der Finanzierung nicht vorwärts ging. Da ich gleichzeitig noch das Präsidium für die Tonhalle übernahm, trat ich früher aus dem Stadtrat aus.
Was hat Sie motiviert?
Ich wollte im Alter zwischen 60 und 70 noch was anderes machen, um etwas zurückzugeben. Meine drei Töchter waren in den 90er-Jahren Kassenschlager im Kispi, weshalb ich dem Spital sehr dankbar bin.
Der Juryentscheid für Herzog & de Meuron fiel vor Ihrer Zeit . . .
Ja, den habe ich geerbt. Die erste Runde des Wettbewerbs war anonym. Danach wurde aus fünf Projekten gewählt. In der Jury sassen neben der Stiftung und Fachexperten auch Vertreter von Kanton und Stadt und der Entscheid fiel einstimmig. Das Projekt von Herzog & de Meuron war in jeder Runde das beste – und ist es bis heute.
Wie kam es zum Landtausch zwischen Hottingen und Lengg?
Seit 1988 hatte man am alten Standort geplant. Beim Spatenstich 2018 haben wir 150 Jahre Kispi und 30 Jahre Planung gefeiert. Den Anstoss für den Landtausch gab Elmar Ledergerber, damals Bauvorstand der Stadt, als klar wurde, dass es mit dem Neubau in Hottingen schwierig wird. Ledergerber hat dann das kantonale Land in der Lengg ins Spiel gebracht. Die Vertretung der Stadt im Stiftungsrat hat bei der Weichenstellung mitgeholfen und der Kanton war damit einverstanden.
- Spatenstich für das neue Kinderspital in Zürich-Lengg am 4. Mai 2018: v.l.n.r. Martin Vollenwyder (Präsident der Eleonorenstiftung), Françoise de Vries (Vizepräsidentin des Stiftungsrates der Eleonorenstiftung und Leiterin des Steuerungsausschusses Bau), Christine Binswanger (Senior Partnerin bei Herzog & de Meuron), Dr. Thomas Heiniger (Regierungspräsident) und Prof. Dr. med. Felix H. Sennhauser (ärztlicher Direktor Kinderspital Zürich).
- Einweihung des Akutspitals im Oktober 2024: v.l.n.r. Christine Binswanger (Senior Partnerin bei Herzog & de Meuron), Jacques Herzog (Partner des Architekturbüros Herzog & de Meuron), Natalie Rickli (Regierungsratpräsidentin, Regierungsrätin und Vorsteherin der Gesundheitsdirektion), Georg Schäppi (CEO Kinderspital Zürich), Martin Vollenwyder (Präsident der Eleonorenstiftung)
Wie haben Sie die Finanzierung auf die Beine gestellt?
Bis 2011 wäre es in der Verantwortung des Kantons gelegen, den Kispi-Neubau zu finanzieren. Mit dem Gesetz zur Spitalfinanzierung von 2012 änderte sich dies. Seither müssen Spitäler ihre Neubauten über die damals eingeführten Fallpauschalen finanzieren. Die Idee mit der Anleihen-Emission kam mir im Gespräch mit einer Beratungsfirma. Schliesslich konnten wir 2016 in der Negativzinsphase zwei Anleihen mit günstigem Zins an der Börse platzieren. 2017 stand dann der definitive Kostenvoranschlag von 625 Mio. Fr.
Wie wurde der Bau konkret finanziert?
Um mit dem Bau beginnen zu können, brauchten wir 80% der Finanzierung auf sicher. Wir hatten 300 Mio. Fr. aus Anleihen, einen ZKB-Baukredit über 50 Mio. Fr., rechneten mit 100 Mio. Fr. aus Spenden und 50 Mio. Fr. aus unserem Eigenkapital. Als die Banken an Bord waren, sprach auch der Kanton ein Darlehen über 150 Mio. Fr.
Zu welchen Konditionen?
Zuerst war der Kanton teurer als die Banken, kam uns dann aber nach Gesprächen entgegen. Das kantonale Darlehen müssen wir – anders als etwa das USZ – bis heute verzinsen und amortisieren. Dabei hatte der Kanton im Jahr 2015 im Konsolidierten Entwicklungs- und Finanzplan (KEF) immer noch ein Darlehen von 550 Mio. Fr. für den Neubau des Kispi vorgesehen. Mit unserer Finanzierung haben wir den Kanton stark entlastet – bis heute hat er das Geld nicht gebraucht. Kein Wunder bekam ich damals vom Kanton für die Finanzierung viel Zuspruch.
Waren die Kostenüberschreitungen beim Bau aufgrund von Pandemie und Ukraine-Krieg einfach Pech?
Überraschungen gehören zum Leben. Corona hat uns sehr weh getan. Aber eine Pandemie konnte man nicht vorhersehen. Natürlich hätten wir die Reserven erhöht, wenn mir jemand beim Spatenstich 2018 gesagt hätte, dass es eine Pandemie geben werde und dass wir unter anderem ein halbes Jahr die Nasszellen aus Italien nicht erhalten werden und deshalb im Winter das Dach provisorisch werden abdecken müssen; oder dass es einen Ukraine-Krieg geben werde, der die Kosten für Stahl nach oben treibt. Am Ende lagen unsere Kosten unter Berücksichtigung dieser Faktoren um 17,6% höher als der Kostenvoranschlag. Zum Vergleich: Allein die allgemeine Bauteuerung von 2020 bis 2024 lag bei 16,6%. Man kann unsere Entscheide von 2017 nur angesichts des damals vorhandenen Wissens beurteilen. Im Nachhinein, wenn man weiss, was geschehen ist, ist es einfach, eine Meinung zu haben.
Was hätte man beim Neubau besser machen können?
Ein Spital zu planen, ist immer schwierig, weil die Medizin rasant Fortschritte macht. Es hat Mut gebraucht, etwas in der Grösse aufzubauen. Dafür wird das Spital langfristig funktionieren und es braucht nicht schon in zehn Jahren ein Provisorium. Wir haben genügend Kapazität, um zu wachsen, neue Synergien zu nutzen und den Fortschritt mitzugestalten.
Wie ist der Spitalbetrieb in der Lengg angekommen?
Es hat vom ersten Tag an funktioniert und ist sehr gut angelaufen. Wir haben jetzt genügend Behandlungszimmer und müssen im Notfall niemand mehr im Gang behandeln, wie damals in Hottingen. Die Psyche hat einen grossen Einfluss auf die Genesung von Kindern und Jugendlichen. Die familienfreundliche Atmosphäre des neuen Spitals unterstützt das: Es riecht nicht nach Spital, es ist hell, der Blick geht ins Grüne. Die Eltern, die hier sein müssen, geben uns sehr positive Feedbacks. Es sagt viel über uns als Gesellschaft in Zürich und der Schweiz aus, wie wir mit gesunden und kranken Kindern umgehen.
Was meinen Sie damit?
Ein geheiltes Kind hat sein ganzes Leben lang etwas davon. Auch die Angehörigen können wieder in ihren Alltag zurück. Sozial und wirtschaftlich wirkt sich das über viele Jahre sehr positiv aus. Kinder sind das Fundament der künftigen Gesellschaft – das muss uns viel wert sein. Paradoxerweise ist jemand wie ich als älteres Semester im Spital nicht nur viel teurer, sondern man hat auch weniger lang etwas davon.
Wird die Rückkehr zur finanziellen Nachhaltigkeit gelingen?
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – mit ihnen braucht alles mehr Zeit. Jüngst ging der Trend auch in der Kindermedizin hin zu ambulanten Behandlungen, obwohl die Tarife nicht kostendeckend sind. Ohne höhere Tarife wird es sehr schwierig. Erfreulicherweise stimmt momentan der Trend im stationären Bereich: Dank dem Neubau sehen wir eine erhöhte Nachfrage von Privatpatienten. Die Eltern schätzen es sehr, dass sie nun genug Platz haben, um bei ihren Kindern zu übernachten.
Wieso haben Sie sich entschieden per Ende Jahr zurückzutreten?
Für mich war klar, dass spätestens mit der definitiven Bauabrechnung Schluss ist. Ich war jetzt zwölf Jahre Präsident und es waren sehr intensive Jahre – vor allem die letzten zwei. Ich wurde für die Finanzierung und die Umsetzung der Bauten geholt. Diese stehen jetzt.